Kirchenförmigkeit darf kein Zwang sein

Kirchenförmigkeit darf kein Zwang sein

hvdEin weltanschaulich neutraler Staat darf Bürgern ohne christliche Lebensauffassung keine ihrem weltanschaulichen oder religiösen Selbstverständnis fremde Organisationsform abverlangen.

Das sagt Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD), zur Forderung von Fachpolitikern im Deutschen Bundestag, laut der sich Konfessionsfreie und Angehörige nicht-christlicher Konfessionen wie Kirchen organisieren sollen, um gleiche Rechte und gleiche Formen der öffentlichen Einbeziehung und Partizipation wahrnehmen zu können wie die Angehörigen der großen christlichen Religionsgemeinschaften.

Zuvor hatte der Politikwissenschaftler Ulrich Willems vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität erneut betont, dass es in der Bundesrepublik einen massiven religionspolitischen Reformbedarf gibt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Willems am 26. April 2016, eine Reform der religionspolitischen Ordnung stünde spätestens seit 1990 auf der Tagesordnung. Von Fachpolitikern aus den Bundestagsfraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen wurde die Einschätzung des Politikwissenschaftlers jedoch zurückgewiesen. Es hieß, es bestünde kein religionsverfassungsrechtlicher Reformbedarf. Auch Angehörige nicht-christlicher religiöser Minderheiten könnten sich wie die Kirchen organisieren, um gleiche Rechte und gleiche Formen der öffentlichen Einbeziehung und Partizipation wahrnehmen zu können, so die Parteienvertreter.

Die Forderungen der Fachpolitiker nach der Herstellung von Kirchenförmigkeit bezeichnet Frieder Otto Wolf als verfehlt. „Die derzeit in den Parteien geäußerten Auffassungen laufen darauf hinaus, eine spezifisch christliche Form religiös-weltanschaulicher Verfasstheit übernehmen zu müssen“, sagte er am Dienstag in einem Interview. Wolf bezeichnete es als „eine klare Verletzung des Neutralitätsgebots, wenn alle Religionen und Weltanschauungen, die sich nach ihrem Selbstverständnis und ihren weltanschaulichen Grundsätzen nicht so zu organisieren bestimmt sehen wie die großen christlichen Kirchen, deswegen diskriminiert und ausgeschlossen werden, weil das staatliche Inkorporationssystem — wie es vom Grundgesetz im Sinne kooperativer Laizität vorgezeichnet ist – auf diese spezifische Kirchenförmigkeit hin interpretiert wird.“ Religionspolitisch gebe es in der Bundesrepublik Deutschlands immer noch eine Zweiklassengesellschaft, so der Präsident des Humanistischen Verbandes.

Ein weltanschaulich neutraler Staat müsse respektieren, dass nicht-christliche Weltanschauungen und Religionen nicht die sämtliche Individuen umfassende Vergemeinschaftung in formellen Vereinigungen kennen, wie diese für die christlichen Kirchen typisch ist. Das Modell der „Kirche“ sei in einem breiteren Vergleich vielmehr „selbst eine spezielle Form, die jedoch keine generell anwendungsfähige Schablone sein kann“, sagte Wolf. Eine zeitgemäße Religionspolitik dürfe daher nicht allein auf formelle Mitgliedschaften in Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften abstellen, sondern müsse auch andere Aspekte berücksichtigen, wie etwa die „demoskopisch erfassbare Verbreitung der Lebensauffassungen in der Gesellschaft sowie die soziale Relevanz und Reichweite der religiös oder weltanschaulich mitgeprägten praktischen Dienstleistungsangebote“, so Frieder Otto Wolf.

Übernahme aus der humanistischen Rundschau 3/2016

Das vollständige Interview auf den »Gläsernen Wänden«

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